Donnerstag, 9. Juni 2016

Die Flüchtlingsheime und der Reiz des Billigsten

Der eine oder andere wird sich noch erinnern, an die Berichte aus dem Jahr 2014, dass es in einem Flüchtlingsheim im siegerländischen Burbach zu Übergriffen aus den Reihen der Wachleute auf Heimbewohner gekommen sei. Und damit in einem Bundesland, dass die meisten Flüchtlinge aufnehmen muss: Mehr als jeder fünfte Neuankömmling kommt nach Nordrhein-Westfalen – allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres waren das knapp 39.000 Menschen. Die nordrhein-westfälischen Landesregierung reagierte damals wie viele andere auch geschockt und reagierte schnell: Man stellte einen "Acht-Punkte-Plan" auf, mit dem sichergestellt werden sollte, dass in Zukunft nur noch sorgfältig geprüfte Security-Firmen Wachaufträge für Landeseinrichtungen bekommen sollten. Künftig solle nicht mehr der billigste, sondern der beste Anbieter den Zuschlag für die sensible Aufgabe bekommen. Eine lobenswerte Sache. Wie immer lohnt es sich aber auch, nach einiger Zeit wieder nachzuschauen, was denn daraus geworden ist. Und da ziehen Wolken auf, wenn man den Ausführungen von Anette Dowideit in ihrem Artikel Billigste Sicherheitsdienste bewachen Flüchtlingsheime folgt:
»Die eigenen, ehrgeizigen Vorgaben werden in NRW offenbar nicht sehr ernst genommen. Mehrere Bezirksregierungen halten sich ... bei ihren Ausschreibungen nicht an die Maßgaben des Plans. Alleiniges Zuschlagskriterium für mehrere Neuvergaben von Bewachungsaufträgen in den vergangenen Monaten war der niedrigste Preis.«

Das geht unter anderem aus einem Schriftwechsel der Bezirksregierung Düsseldorf hervor, aus der Anette Dowideit zitiert: In einer E-Mail von Mitte April schreibt ein Bezirksregierungsmitarbeiter: "Aufgrund einer Bieterfrage teile ich Ihnen mit, dass für die Beauftragung der Sicherheitsdienstleistungen in der Notunterkunft Heiligenhaus als Zuschlagskriterium nur der Preis herangezogen wird."

Aus Nordrhein-Westfalen wurden und werden auch gehäuft Übergriffe von Security-Mitarbeitern auf Flüchtlinge berichtet. Und daran, so die These Dowideits, haben auch „Dumpingausschreibungen“ ihren Anteil. »Laut einer Berechnung des Zolls müssen Sicherheitsfirmen den Städten pro Stunde und Wachmann mindestens 16,49 Euro berechnen, um den Mindestlohn zahlen zu können. Aber offensichtlich gibt es Anbieter, die deutlich darunter liegen:

»Mehrere Aufträge wurden ... in den vergangenen Monaten in NRW für deutlich weniger Geld vergeben, sagt ein Manager einer großen Firma, die selbst auf Qualität setzt und nach eigenen Angaben daher zuletzt selten zum Zuge kam. Er erzählt, um die geheimen Vergabeverfahren besser durchschauen zu können, habe seine Firma sich testweise selbst mit einem Dumpingangebot beworben: ein Heim bewachen für gut 15 Euro Verrechnungssatz. Damit, sagt der Manager, hätten sich weder Tariflöhne noch Arbeitszeitgesetze einhalten lassen können. "Wir bekamen trotzdem nicht den Zuschlag", sagt er. "Es gab andere, die deutlich billiger waren."«

Bei der Bezirksregierung Düsseldorf sieht man trotzdem kein Problem: Schließlich seien bei der Ausschreibung überhaupt nur Bieter zugelassen worden, die die „Qualitätskriterien“ erfüllten.
Und dann ist da noch ein anderer Bereich, der als Schutzmechanismus gedacht ist, um problematische Leute gar nicht erst als Wachpersonal zuzulassen – und auch hier läuft es alles andere als rund in Nordrhein-Westfalen, um das mal nett auszudrücken, denn man könnte auch von einem Systemversagen sprechen:

»Auch die Eignungsprüfungen, die seit 2014 zentral für das ganze Land bei der Bezirksregierung Arnsberg gemacht werden, scheinen chaotisch zu laufen. Die Prüfungen sollen verhindern, dass Vorbestrafte oder Security-Mitarbeiter ohne Ausbildung in die Heime kommen. Das klappt aber derzeit kaum: Von den rund 5000 Sicherheitskräften, die zur Überprüfung angemeldet wurden, liegen nach Aussage von mit den Vorgängen vertrauten Personen nur für 1000 alle erforderlichen Unterlagen vor. Die restlichen 4000 arbeiten in den Einrichtungen, obwohl sie entweder das erweiterte Führungszeugnis oder den Nachweis, dass sie einen Lehrgang zur Sicherheitskraft absolviert haben, nicht eingereicht haben.«

Selbst in den Behörden, so Dowideit, »macht sich deshalb nun eine Befürchtung breit: dass die Preisdumpingausschreibungen und der Mangel an Kontrollen in absehbarer Zeit zu Überforderung der oftmals unqualifizierten und schlecht bezahlten Sicherheitsleute – und vielleicht sogar weiteren Übergriffen auf Flüchtlinge – führen könnten.«

Und was sagt die Landesregierung zu den Vorwürfen?

»Das NRW-Innenministerium teilt dazu auf Anfrage mit, es gebe Qualitätssicherungsteams, die regelmäßig die Einrichtungen besuchen und die Wachleute kontrollieren würden. Über die Dumpingausschreibungen sei nichts bekannt, außerdem seien die Bezirksregierungen "ausdrücklich auf den Acht-Punkte-Plan hingewiesen" worden.«

Was soll man denn noch machen, als ausdrücklich darauf hinzuweisen?

Nordrhein-Westfalen und seine Landesregierung, Flüchtlingsheime und Dumping – da war doch noch eine andere Geschichte? Genau, diese hier: Karitatives Lohndumping, so hat Achim Breitenbach seinen Artikel dazu überschrieben. Und in dieser Geschichte spielt das DRK eine besondere Rolle – eine Hilfsorganisation, die sehr stark engagiert ist in der Flüchtlingsunterbringung, auch in Nordrhein-Westfalen. Und Achim Breitenbach berichtet:

»Das DRK Westfalen-Lippe hat eine Tochtergesellschaft eigens für den Betrieb von Flüchtlingseinrichtungen gegründet. Und betreibt aus Gewerkschaftssicht Lohndumping. Die Vergütung für Mitarbeiter erfolgt nach dem Entgelttarifvertrag des Gaststätten- und Hotelgewerbes (Dehoga). Das bestätigt auch Roland B. Er arbeitet in der Verwaltung eines vom DRK betriebenen Flüchtlingsheim in Ostwestfalen. Knapp 60 qualifizierte Mitarbeiter aus Sozialberufen, aber alle bezahlt nach der Vereinbarung fürs Gastgewerbe. Bundesweit betreibt das DRK rund 480 Flüchtlingsheime mit insgesamt 5.000 festangestellten Mitarbeitern. Die Eingruppierung eines Sozialarbeiters soll dort in die Tarifgruppe 8 für 2.628 Euro brutto nach dem Tarif für Gaststätten und Hotels erfolgen. Bei dem für den öffentlichen Dienst (TVöD) würde ein Sozialpädagoge in Stufe 12 eingruppiert, mit der geforderten Berufserfahrung käme man auf 3.046,82 Euro brutto. Die Differenz beträgt stolze 418,82 Euro. Hinzu kommt, dass die Laufzeit der Arbeitsverträge kurz ist. Wie lang ein Flüchtlingsheim existiert, ist in der Regel ungewiss. Es gibt Arbeitsverträge mit einer Laufzeit von drei Monaten.«

Nun wird das DRK für die Flüchtlingsunterbringung bezahlt – und da kommt wieder die Landesregierung ins Spiel. In Nordrhein-Westfalen wirbt die Düsseldorfer Regierung mit dem Slogan »NRW. Land der fairen Arbeit«. Die Stellen, die in der Flüchtlingshilfe neu geschaffen werden, sind zu 100 Prozent aus dem Haushalt des Landes Nordrhein-Westfalen finanziert. Auf Nachfrage der Gewerkschaft ver.di schrieb das Innenministerium: »Ob der Tarifvertrag des Hotel- und Gaststättengewerbes (Beherbergung) der ›richtige‹ für die DRK-Betreuungsdienste Westfalen-Lippe gGmbH ist, kann von hier nicht beurteilt werden«. Man muss sich klar machen, dass der vom DRK angewandte Tarifvertrag normalerweise für Betriebe gilt, die gewerbsmäßig beherbergen und Speisen und Getränke abgeben, vom DRK aber angewendet wird für Menschen, die eine Ausbildung als Krankenschwester, Erzieherin usw. haben. Qualifizierte Sozialarbeit wird gleichgesetzt mit Tätigkeiten in der Gastronomie.

Vielleicht ist es ja auch nur wieder ein Beispiel für das alte Dilemma zwischen Theorie und Praxis. Sich als Land der fairen Arbeit proklamatorisch aufzustellen und dann eigentlich konsequenterweise bei den eigenen Aufträgen dafür zu sorgen, dass das auch eingehalten wird, kann offensichtlich in einem Spannungsverhältnis stehen.