Sonntag, 30. August 2015

Diesseits und jenseits von Armutsgefährdungsquoten für alle und für besondere Fälle. Ein Schlaglicht auf ein wachsendes Strukturproblem


Das Statistische Bundesamt hat mal wieder "Armutsgefährdungsquoten" veröffentlicht. Das löst erwartungsgemäß Reflexe auf allen Seiten aus. Die einen beklagen das, was damit ausgesagt werden soll, die anderen bestreiten, dass diese Quoten überhaupt irgendeine Aussagefähigkeit hinsichtlich des höchst aufgeladenen Begriffs "Armut" haben. Immer ganz vorne dabei Ulrich Schneider, der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, der sich auch diesmal zu Wort gemeldet hat: Armut verharrt auf hohem Niveau - Paritätischer warnt vor neuer Rentnerarmut und fordert offensive Armutsbekämpfung, so ist die Pressemitteilung des Wohlfahrtsverbandes überschrieben worden. Darin wird er mit diesen Worten zitiert: „Das Bild, wonach es den Rentnerhaushalten in Deutschland im Vergleich zum Durchschnitt der Bevölkerung doch noch sehr gut ginge, hat sich mit den neuen Zahlen endgültig erledigt.“ Und weiter: „Die Quote der altersarmen Rentenrinnen und Rentner hat seit 2006 mit 51 Prozent so stark zugelegt wie bei keiner anderen Bevölkerungsgruppe. Politik und Öffentlichkeit müssen sich endlich der Tatsache stellen, dass eine Lawine der Altersarmut auf uns zurollt. Es sind Menschen, deren Einkommen häufig nur knapp über der Sozialhilfeschwelle liegt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch die Zahlen derer, die in Altersgrundsicherung fallen, auf ein hohes Niveau nachziehen.“

Donnerstag, 27. August 2015

Ein entleerter, weil folgenloser Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz, wenn das Um-die-Ecke-Denken mancher Richter so bleibt, wie es vom Oberlandesgericht Dresden verkündet wurde

Manche werden sich noch erinnern an die aufgeheizten Diskussionen im Vorfeld des Scharfstellens des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz ab dem vollendeten ersten Lebensjahr des Kindes zum 1. August 2013. Da wurde der „Kita-Notstand“ oder gar das „Kita-Chaos“ beschworen und viele Debatten drehten sich um die Befürchtung so mancher Kommune, dass es zu massenhaften Klagen auf Schadensersatz seitens der Eltern gegen die Träger der öffentlichen Jugendhilfe, die für die Umsetzung des Rechtsanspruchs zuständig sind, kommen könnte, weil man schlichtweg nicht genügend Angebote hatte (und hat), um die jeweilige Nachfrage auch bedienen zu können.

Skeptiker haben bereits damals darauf hingewiesen, dass es wahrscheinlich keine Klagewelle seitens der Eltern geben wird, denn diese sind zwar sehr viele, aber sie sind zugleich atomisiert, auf sich selbst gestellt, ohne eine kollektive und schlagkräftige Interessenorganisation und sie tun das, was sie immer tun als System Familie – sich irgendwie arrangieren mit den Verhältnissen, das Beste aus der Situation zu machen versuchen, zu überbrücken, Lücken zu stopfen und auf Sicht zu segeln.
Dabei hat allein die Angst in nicht wenigen Kommunen vor möglichen Schadensersatzforderungen seitens der Eltern bei Nicht-Erfüllung des Rechtsanspruchs sicherlich erheblich dazu beigetragen, dass es in den vergangenen Jahren einen erheblichen Ausbauschub gegeben hat, der in vielen Regionen die Angebotssituation deutlich verbessert hat.

Darüber hinaus sollte man meinen, dass ein individueller Rechtsanspruch in einem ordentlichen Staat wie Deutschland immer auch damit verbunden sein muss, dass man gegen seine Nicht-Erfüllung bei gewünschter Inanspruchnahme mit dem scharfen Schwert der Klage und der möglichen Schadensersatzpflichtigkeit der Gegenseite agieren kann.

Mittwoch, 26. August 2015

Auf der Rutschbahn direkt in Hartz IV. Mehr als jeder fünfte Beschäftigte ist davon bei Arbeitslosigkeit betroffen. Was ein wenig helfen würde und wo die (System-)Grenze ein Dilemma ist

Also "normalerweise" sollte es so sein, dass das Risiko der Erwerbsarbeitslosigkeit durch "vorrangige" Sicherungssysteme aufgefangen wird, also durch die Arbeitslosenversicherung und nicht durch eine bedürftigkeitsabhängiges Fürsorgesystem wie Hartz IV. Mittlerweile haben sich diese Verhältnisse umgekehrt und fast 70% der registrierten Arbeitslosen befinden sich im Grundsicherungssystem (SGB II), während etwas mehr als 30% im Versicherungssystem (SGB III) abgesichert sind. Das hängt auch damit zusammen, dass aufgrund der Veränderungen in den unteren Etagen des Arbeitsmarktes seit Mitte der 1990er Jahre - vor allem deren Ausbreitung und der für viele dauerhaften Exklusion von stabileren Formen der Beschäftigung - die Voraussetzungen für den Bezug von Versicherungsleistungen nicht oder immer seltener erfüllt werden (können), wie beispielsweise die notwendige Vorbeschäftigungszeit innerhalb einer vom Gesetzgeber festgelegten Rahmenfrist, um beim Eintritt des "Schadensfalls" Arbeitslosigkeit Leistungen zu bekommen.
Das führt dann zu solchen Meldungen, die auf eine neue Auswertung der Zugangsdaten in Arbeitslosigkeit beruhen, die vom DGB in regelmäßigen Abständen vorgenommen wird: Jeder fünfte Beschäftigte rutscht bei Arbeitslosigkeit sofort in Hartz IV: »Demnach waren in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres 264.000 Beschäftigte schon zu Beginn ihrer Arbeitslosigkeit auf Hartz IV angewiesen. Das waren 21,3 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit Jobverlust. Besonders angespannt ist die Lage in der Zeitarbeitsbranche. Dort wurden im ersten Halbjahr 183.000 Arbeitkräfte entlassen. Davon waren rund 68.000, also 37 Prozent, direkt im Anschluss auf staatliche Grundsicherung angewiesen.«

Dienstag, 25. August 2015

Die Rente könnte sicher sein, auch das Rentenniveau, wenn ... Gestaltungsvorschläge angesichts der Baufälligkeit des „Drei-Säulen-Modells“ der Alterssicherung in Deutschland


Bekanntlich fällt es oftmals leichter, eine passgenaue und ernüchternde Analyse sozialpolitischer Zusammenhänge vorzulegen, als Lösungsvorschläge zu präsentieren oder wenigstens zur Diskussion zu stellen. Dieser Aspekt wird manchem durch den Kopf gegangen sein bei der Auseinandersetzung mit einer neuen Studie, die aufzeigen kann, dass das „Drei-Säulen-System“ der Alterssicherung in Deutschland erhebliche Baumängel aufweist: Ingo Schäfer zeigt in seiner Veröffentlichung Die Illusion von der Lebensstandardsicherung. Eine Analyse der Leistungsfähigkeit des „Drei-Säulen-Modells“: „Auch wer heute über alle drei Wege spart, wird nicht an das einstige Leistungsniveau der gesetzlichen Rente herankommen." Das Hauptproblem: Die Renten aus allen drei Säulen steigen nicht so stark wie die Löhne und verlieren dadurch während des Bezugs massiv an Wert. Höchstens zum Zeitpunkt des Renteneintritts kann eine idealtypische Umsetzung des "Drei-Säulen-Modells" wie von der Bundesregierung behauptet die "Lebensstandardsicherung", also das Verhältnis zwischen der Rente und dem versicherten Einkommen (auch "Versorgungsniveau" genannt), zusagen - aber dann hört ja die Geschichte nicht auf und das Problem breitet sich aus: Über die Jahre wird die Rente gemessen an den Löhnen erheblich an Wert verlieren und das Verhältnis ständig schlechter, so Ingo Schäfer (vgl. hierzu den Beitrag Die Rente ist sicher. Immer weniger wert. Auch wenn man sich idealtypisch verhält und alle drei Säulen bedient vom 22.08.2015).

Aber was sollte und könnte man tun, wenn man denn wollte? Dazu hat nun der Rentenexperte Johannes Steffen eine interessante Veröffentlichung vorgelegt: Für eine Rente mit Niveau. Zum Diskurs um das Niveau der Renten und das Rentenniveau, so hat er seine Ausarbeitung überschrieben. Darin findet man nicht nur eine prägnante Zusammenfassung der rentenpolitischen Entwicklung vor allem seit den „Rentenreformen“ der damaligen rot-grünen Bundesregierung Anfang des Jahrtausends, sondern er zeigt Wege auf, die man gehen könnte, um das Kardinalproblem des gesetzlichen Rentenversicherungssystems, also das sinkende Rentenniveau, in den Griff zu bekommen. Seine besonders hervorzuhebende Leistung besteht darin, dass die damals politisch beschlossene Absenkung des allgemeinen Rentenniveaus, die seitdem gleichsam einen unantastbaren Charakter zugeschrieben bekommen hat, nicht nur infrage gestellt, sondern auch eine Umkehrung dieses rentenpolitischen Entwicklungspfades gefordert und mit konkreten Schritten versehen wird.

Samstag, 22. August 2015

Die Rente ist sicher. Immer weniger wert. Auch wenn man sich idealtypisch verhält und alle drei Säulen bedient

"Die Rente ist sicher". Dieser legendäre Satz des damaligen Bundesrentenministers Norbert Blüm (CDU) in den 1980er Jahren hat mittlerweile Bonmot-Charakter, nachdem man die umlagefinanzierte Gesetzliche Rentenversicherung in ihrer öffentlichen Wahrnehmung sturmreif geschossen hat. Und die heutige Bundesregierung würde das so schlich auch nicht mehr sagen, tut es aber etwas weniger schlicht dennoch: So belehrt sie uns, dass eine zukunftseste Altersvorsorge auf drei Säulen ruhen müsse: der gesetzlichen Rente, der privaten und betrieblichen Vorsorge. Werden die drei Säulen genutzt, würde das Gesamtversorgungsniveau in fast allen Fällen langfristig ansteigen – trotz sinkendem Niveau der gesetzlichen Rente. Mit dem "Drei-Säulen-Modell" sei also ein gleichwertiges oder gar höheres Gesamtversorgungsniveau möglich, als dies zuvor alleine die gesetzliche Rentenversicherung geleistet hat. Entspannt euch, so also die zusammengefasste Botschaft der Bundesregierung, hier zitiert nach dem ergänzenden Bericht der Bundesregierung zum Rentenversicherungsbericht aus dem Jahr 2012. Aber stimmt das überhaupt? Auch dann, wenn sich die Betroffenen idealtypisch verhalten, also tatsächlich das tun, was die Bundesregierung von ihnen erwartet, also die mit den Rentenniveauabsenkungen in der Gesetzlichen Rentenversicherung seit der Jahrtausendwende unter der damaligen rot-grünen Bundesregierung einhergehenden Sicherungslücken durch private und betriebliche Altersvorsorge kompensiert?

Freitag, 21. August 2015

Der Mindestlohn läuft, bestimmte Arbeitnehmer dürfen sich monetär freuen und die Zahlen sprechen für sich

Man darf und muss an ihn erinnern – der allgemeine gesetzliche Mindestlohn, der seit dem 1, Januar 2015 in Kraft gesetzt wurde und der davor und in den Wochen danach für intensive Debatten in Deutschland gesorgt hat. Aufgrund der überaus pessimistischen Vorhersagen zahlreicher ökonomischer Auguren wurden gewaltige negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt in den Raum gestellt. „Job-Killer“ und andere Schmähzuschreibungen machten die Runde. Aber schon damals gab es auch zahlreiche und gewichtige Gegenstimmen, die darauf verwiesen, dass es sich bei den meisten „Prognosen“ um interessengeleitete Stimmungsmache gegen das Instrument staatlicher Mindestlohn an sich handelt und – weitaus bedeutsamer – dass viele damals hysterische Wirtschaftswissenschaftler schlichtweg die andere Seite der Medaille vergessen haben, dass höhere Löhne eben nicht nur höhere Kosten darstellen, sondern gerade in dem Segment, in dem der Mindestlohn greift, also bei den unteren Einkommensgruppen, immer auch einen hohen Nachfrageeffekt und damit beschäftigungschaffende Wirkungen entfalten.

Mittwoch, 19. August 2015

Einerseits eine massive Kritik an der abschlagsfreien "Rente ab 63" und andererseits eine höchstrichterlich bestätigte Zwangsverrentung ab 63, die dazu führt, dass die zumeist armen Schlucker lebenslang noch ärmer bleiben werden


Man muss sich das mal klar machen: Da nehmen viele Menschen, die 45 Beitragsjahre nachweisen können, derzeit die von der Bundesregierung geschaffene abschlagsfreie "Rente ab 63" in Anspruch. Und das wird an vielen Stellen bitter beklagt, ein "Aderlass" für die deutsche Wirtschaft sei das, eine zusätzliche "Besserstellung" der "glücklichsten" Rentner-Generation, die es bislang gab und die es so nicht wieder geben wird. Gleichzeitig wird aber der Pfad in Richtung auf die "Rente ab 67" keineswegs grundsätzlich verlassen, sondern die Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters schreitet weiter voran, so dass die 67 für den Geburtsjahrgang 1964 gelten werden. Und man beklagt von interessierter Seite, dass die vorübergehende Ermöglichung einer abschlagsfreien Rente bereits ab dem 63. Lebensjahr - unter bestimmten, restriktiven Voraussetzungen - die beobachtbare Verlängerung des tatsächlichen Renteneintrittsalters nach oben nunmehr aufhält und bei den Arbeitnehmern falsche Erwartungen geweckt werden. Das gesetzliche Renteneintrittsalter gewinnt seine besondere Bedeutung dadurch, dass es auch die Grenze definiert, deren Unterschreitung beim Renteneintritt, der weiterhin auch vor dieser Grenze möglich ist, zu teilweise erheblichen lebenslangen Abschlägen bei den ausgezahlten Renten führt. Insofern ist es ja auch verständlich, dass viele Arbeitnehmer versuchen müssen, so lange wie nur irgendwie möglich durchzuhalten, damit sie dem Damoklesschwert der Abschläge von den zugleich im Sinkflug befindlichen Renten vor allem seit der Rentenreform der rot-grünen Bundesregierung Anfang des neuen Jahrtausends zu entgehen. Wenn dann die Bundesregierung eine Option anbietet, auch ohne Abschläge in den Rentenbezug zu wechseln, dann darf man sich nicht wirklich wundern, wenn das auch viele machen, die die Voraussetzungen erfüllen (vgl. dazu auch den Beitrag Und tschüss!? Zur Inanspruchnahme der "Rente ab 63" und ihren Arbeitsmarktauswirkungen vom 7. August 2015).
Vor diesem Hintergrund mag es mehr als irritieren, wenn man gleichzeitig damit konfrontiert wird, dass bei der Gruppe der Hartz IV-Bezieher eine gänzlich andere Welt zu herrschen scheint, denn dort geht es nicht um eine Kritik an einer "zu frühen" Verrentung, sondern ganz im Gegenteil um eine "Zwangsverrentung" im Alter von 63, egal, ob die betroffenen Menschen das wollen oder nicht.

Dienstag, 18. August 2015

Was passieren kann, wenn man die Zielgröße, permanent ein "überdurchschnittlicher Amazon-Roboter" zu sein, nicht erreicht. Mal wieder: Inside Amazon

Amazon mal wieder. Wir reden hier über eine - von oben betrachtet - große "Erfolgsstory": Mehr als 150.000 Mitarbeiter hat das Unternehmen mittlerweile, der Umsatz kratzt an der 100-Milliarden-Dollar-Grenze. Während in Deutschland immer noch eine überschaubare Gruppe von Aktivisten innerhalb der Belegschaft versucht, den Konzern daran zu erinnern, dass nicht nur betriebliche Mitbestimmung, sondern auch Tarifverträge bei uns eigentlich normal sein sollten, damit aber - trotz mehrfacher Streikaktionen - bislang wenig bis gar keinen Erfolg haben, werden nun wieder die Arbeitsbedingungen bei Amazon in den Fokus der Berichterstattung gerückt. Allerdings diesmal aus dem Mutterland des Konzerns, also den USA, kommend. Die New York Times berichtet über höchst fragwürdige Arbeitsbedingungen in dem Artikel Inside Amazon: Wrestling Big Ideas in a Bruising Workplace: The company is conducting an experiment in how far it can push white-collar workers to get them to achieve its ever-expanding ambitions:
Man kann das auch so auf den Punkt bringen: Katastrophale Arbeitsbedingungen bei Amazon. In diesem Artikel des österreichischen Standard werden einzelne Fälle zitiert, die man dem Originalartikel der New York Times entnehmen kann. Wie so oft bei diesen amerikanischen Unternehmen geht es um Leistungsbewertungen, um die "Performance" der Beschäftigten.

Einige Solo-Selbständige in Deutschland proben den Aufstand gegen die Rentenversicherung und andere möchten gerne rein


Also früher war die Welt irgendwie noch einfacher - jedenfalls aus der heutigen Perspektive, die natürlich immer auch eine verzerrte sein muss. Da gab es die große Masse der abhängig Beschäftigten, in Arbeiter und Angestellte sortiert und auf der anderen Seite der Medaille die Selbständigen. Bei den Selbständigen hatte man zum einen die vielen kleinen Kümmerexistenzen, die mit ihrem Laden mehr schlecht als recht über die Runden gekommen sind. Zum anderen die "normalen" Selbständigen, die ein Unternehmen betrieben, in dem wiederum andere Menschen eine abhängige Beschäftigung gefunden haben. Und weil man normalerweise davon ausgehen konnte, dass so ein Selbständiger - von manchen politischen Kräften auch Kapitalist genannt - genügend Einkommen aus der Verwertung der Arbeitskraft seiner Arbeiter und Angestellten ziehen konnte, wurde unterstellt, dass hier keine "soziale Schutzbedürftigkeit" gegeben sei, die eine Einbeziehung in die gesetzliche Sozialversicherung, die ja eine Arbeitnehmerversicherung ist, begründen könnte. Also hat man folgerichtig argumentiert, dass diese Selbständigen alleine in der Lage sind, für ihre Absicherung im Krankheitsfall zu sorgen und für eine eigene Alterssicherung beispielsweise in Form einer Lebensversicherung oder anderer Modelle vorzusorgen.

Es gab dann im Laufe der Zeit eine gewisse notwendige "Übergriffigkeit" seitens der Sozialpolitik, die auch selbständige Existenzen wie Handwerker unter bestimmten Bedingungen unter das weite Dach der sozialen Sicherung zog, weil man hier eine offensichtliche "Schutzbedürftigkeit" erkannt hat. Aber die meisten Selbständigen blieben weiter außerhalb des Systems und auf eigene Strategien der Absicherung angewiesen, was sie natürlich auch von einer entsprechenden Beitragszahlung befreit hat.

Samstag, 15. August 2015

Die einen rein, die anderen ins Lager? Zur Ambivalenz einer erwartbaren Zwangsläufigkeit im Umgang mit Flüchtlingen


Die hier besonders interessierende Frage soll gleich an den Anfang gestellt werden: Kann es ein Gleichgewicht geben zwischen der fürsorgenden Aufnahme der einen und der gleichzeitigen Abschreckung und "Entsorgung" der anderen Flüchtlinge, die nach Deutschland gekommen sind? Oder wird sich eine - auch mediengetriebene - Schlagseite entwickeln?

Es wird in diesen Tagen nun wahrlich viel, zuweilen auch fast schon im Sinne einer Überdosis berichtet über die neue Völkerwanderung, die sich in Bewegung gesetzt hat und deren Ausläufer tagtäglich in großer Zahl Deutschland erreichen. Auch wenn man zuweilen den Eindruck bekommen muss, es gibt nur zwei Seiten einer Medaille der Reaktion der Menschen, die hier schon leben - also entweder die vielen, die sich engagieren, die vor Ort in den Flüchtlingshilfeinitiativen arbeiten, die Menschen mit Wasser und anderen Dingen sofortversorgen, wenn diese - wie in Berlin - auf eine völlig überforderte Verwaltung treffen und auf der anderen Seite die verbohrten Rassisten und Rechtsextremen, die Flüchtlingsunterkünfte in Brand setzen und in den sozialen Netzwerken kübelweise ausländerfeindliche Gülle ausgießen.

Freitag, 14. August 2015

Schöne neue Apple-Welt auf der Sonnenseite der Gesundheitskasse? Ein Update zur schleichenden Entsolidarisierung des Versicherungssystems

Bereits im November 2014 wurde hier ein Beitrag veröffentlicht, der sich kritisch mit einem im Entstehen befindlichen neuen Trend in der "Gesundheitslandschaft" beschäftigt hat: Irgendwann allein zu Haus? Ein weiterer Baustein auf dem Weg in eine Entsolidarisierung des Versicherungssystems, zugleich ein durchaus konsequentes Modell in Zeiten einer radikalen Individualisierung, so ist der Artikel überschrieben. Wer gesund lebt, zahlt weniger für die Krankenversicherung: Erstmals bietet ein Konzern günstigere Verträge an, wenn Kunden nachweisen, dass sie Sport treiben und zur Vorsorge gehen. »Als erster großer Versicherer in Europa setzt die Generali-Gruppe dafür künftig auf die elektronische Kontrolle von Fitness, Ernährung und Lebensstil. Das Kalkül des Unternehmens scheint auf der Hand zu liegen: Wer gesund lebt, kostet den Krankenversicherern weniger Geld. Im Gegenzug erhalten willige Verbraucher Vergünstigungen, gleichsam als Anreiz, sich entsprechend zu verhalten.« Der Vorstoß kam also aus den Reihen der privaten Krankenversicherungen, aber die Warnung vor einer möglichen Ausbreitung in den Bereich der Sozialversicherungssysteme wurde bereits damals ausgesprochen: »... auch unter dem Dach des Sozialversicherungssystems gibt es immer wieder Diskussionen über den Umfang des Leistungskatalogs und sehr gerne werden immer wieder die doch offensichtlichen Ungerechtigkeiten zitiert, die entstehen, wenn Menschen sich beispielsweise bewusst in schwere Gefahr begeben oder durch ihr Verhalten (z.B. Rauchen, Alkohol trinken usw.) zu hohen Kosten beitragen, die dann von der Solidargemeinschaft aller Versicherten mitfinanziert werden müssen, auch wenn sich die bislang ganz anders verhalten und gehandelt haben. Das wird dann hinsichtlich der möglichen Konsequenzen diskutiert unter dem Stichwort Ausgliederung aus dem gesetzlichen Leistungskatalog. Wenn man denn will, kann man ja Zusatzversicherungen abschließen, wird die Botschaft lauten - oder eben einfach das risikobehaftete Verhalten ändern, wenn man sich das nicht leisten kann. Und schon wieder würde scheinbare "Freiwilligkeit" in einen faktischen Zwang transformiert.«

Mittwoch, 12. August 2015

An sich ein guter Tag für viele Pflegebedürftige und ihre Angehörige. Mehr Leistungen und - diskussionsbedürftige - Weichenstellungen. Gleichzeitig twittert der #Pflegestreik mit sich selbst

Mit einem umfassenden Reformanspruch geht das Pflegestärkungsgesetz II einher, das vom Bundeskabinett am heutigen Mittwoch angeschoben wurde. Mehr Hilfe für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen, so hat der Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe die Erläuterungen seines Ministeriums zur Pflegerform überschreiben lassen. Das Gesetz soll am 1. Januar 2016 in Kraft treten und es enthält auch den - gefühlt seit Jahrzehnten angekündigten - neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff, der mit einem neuen Begutachtungsverfahren zum 1. Januar 2017 kommen soll. Bereits Anfang 2015 wurde mit dem Ersten Pflegestärkungsgesetz die Unterstützung für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen ausgeweitet und jetzt wird noch mal was nachgelegt. Und keiner soll behaupten, es gehe hier um Peanuts: Insbesondere Menschen mit Demenz und psychischen Störungen eine bessere Pflege erhalten. Sie haben künftig Anspruch auf die gleichen Leistungen wie Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen. Die bislang drei Pflegestufen werden durch fünf Pflegegrade ersetzt. Bis zu 500.000 Menschen können nach Angaben des Ministers mittelfristig durch die Reform zusätzliche Unterstützung erhalten. Auch die pflegenden Angehörigen werden bedacht: »Wer für die Pflege aus dem Beruf aussteigt, erhält künftig von den Pflegekassen dauerhaft Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Bislang werden Beiträge nur während der maximal sechsmonatigen gesetzlichen Pflegezeit übernommen. Auch werden betreuenden Angehörigen in Zukunft höhere Ansprüche an die gesetzliche Rentenkasse gutgeschrieben«, kann man dem Artikel Bundeskabinett beschließt grundlegende Pflegereform entnehmen.

Montag, 10. August 2015

Zwischen "ausgelaugter Gewerkschaft" und dem Nachtreten derjenigen, die das Streikrecht schleifen wollen

Derzeit läuft in der Öffentlichkeit die Debatte über die Bewertung der Ergebnisse der Mitgliederbefragungen zum Schlichterspruch im Streik des Sozial- und Erziehungsdienstes. Sowohl bei ver.di wie auch bei der GEW wurde der mit fast 70% abgelehnt - und das sorgt jetzt für viel Diskussion.

Pascal Beucker kommentiert in der taz mit Blick auf den Ende September anstehenden Bundeskongress der Gewerkschaft ver.di, wo Frank Bsirske für eine fünfte Amtszeit als Gewerkschaftschef kandidiert, sehr kritisch unter der Überschrift Ausgelaugte Gewerkschaft: »Die aktuelle Verdi-Führung gibt eine schlechte Figur ab – konzeptionslos und müde. Ein Neuanfang ist jedoch nicht in Sicht.«

Und weiter: »Das Motto des kommenden Verdi-Bundeskongresses soll Optimismus verbreiten: „Stärke. Vielfalt. Zukunft.“ Ein Fall von Autosuggestion ... Um es deutlicher zu formulieren: Verdi befindet sich in einer veritablen Krise. Das Führungspersonal um den Dauervorsitzenden Frank Bsirske, der seit der Gründung von Verdi 2001 an der Spitze steht, und seine beiden StellvertreterInnen Andrea Kocsis und Frank Werneke wirkt konzeptionslos und ausgelaugt. Doch hoffnungsvolle Nachwuchskräfte, die an ihre Stelle treten könnten, sind nicht in Sicht. Alle drei müssen nicht mal mit einer Gegenkandidatur rechnen.«

Sonntag, 9. August 2015

Hartz IV Austria? Jetzt natürlich auch noch die Zumutbarkeit von Arbeit. Ein Update.

In Österreich steigt die Arbeitslosigkeit und auch dort kann bzw. muss man ein bekanntes Muster in solchen Phasen beobachten: Schnell wird die öffentliche Diskussion auf "die" Arbeitslosen gelenkt und es wird nach "Ursachen" für die Arbeitslosigkeit gesucht, die in der Person der Arbeitslosen begründet liegen. Gerne wird dabei dann auch auf die angeblich falschen Anreizwirkungen der Arbeitslosenunterstützung verwiesen und in deren Absenkung ein "Lösungsansatz" gesehen. In Deutschland hat diese Debatte eine lange Traditionslinie, Stichworte wie – eher technisch -  „Lohnabstandsgebot“ oder – nur populistisch – „soziale Hängematte“ mögen hier genügen. Die Arbeitsmarktforschung hat zeigen können, dass es ein immer wiederkehrendes Muster des Auf und Ab dieser Debatten gibt, das eng mit der Arbeitslosigkeitsentwicklung korreliert. Und mit bevorstehenden Wahlen. Auf diesen Aspekt haben beispielsweise schon Frank Oschmiansky, Silke Kull und Günther Schmid in ihrer 2001 veröffentlichten Studie Faule Arbeitslose? Politische Konjunkturen einer Debatte hingewiesen. Sie belegen für Deutschland schon vor der Hartz IV-Zeit, dass das Thema „Faule Arbeitslose“ seit Mitte der 1970er Jahren regelmäßig politisch und medial hochgespielt wird – veranlasst nicht etwa durch neue Erkenntnisse, sondern durch bevorstehende Wahlen. Die Forscher sprechen vom ei­ nem „deutlichen politischen Kalkül“ und einem wiederkehren­ den Zeitpunkt, nämlich ein bis eineinhalb Jahren vor einer Bundestagswahl, und dies besonders ausgeprägt in Zeiten schwächelnder Konjunktur. 

Samstag, 8. August 2015

Die Gewerkschaftsspitze allein zu Haus? Das Ergebnis der Mitgliederbefragung zum Schlichtungsergebnis im Streik der Sozial- und Erziehungsdienste und das "Fliegenfänger"-Problem der Verdi-Führungsebene

War da nicht noch was? Genau, die Schlichtung im Streik der Sozial- und Erziehungsdienste, in der Öffentlichkeit oftmals fälschlicherweise verkürzt auf "Kita-Streik", aber es haben nicht nur die Fachkräfte der Kindertageseinrichtungen di Arbeit niedergelegt, sondern auch die Sozialarbeiter beispielsweise in der Jugend- oder Behindertenhilfe, die aber in der öffentlichen Berichterstattung so gut wie gar nicht vorgekommen sind.

Heute findet in Fulda die vierte bundesweite Streikdelegiertenkonferenz der Gewerkschaft ver.di statt und dort wird der Verdi-Chef Frank Bsirske das Ergebnis der seit Wochen laufenden Mitgliederbefragung über eine Annahme oder Ablehnung des Schlichterspruchs vorstellen und mit den Delegierten sicherlich sehr kontrovers diskutieren. Vgl. dazu auch den Artikel Die nächste Runde droht. Alfons Frese schreibt darin: »Die Verdi-Mitglieder haben über den Schlichterspruch im Kita-Streit abgestimmt. Jetzt wird wieder verhandelt - und womöglich gestreikt. Verdi-Chef Bsirske sitzt in der Klemme.«

Freitag, 7. August 2015

Diesseits und jenseits der Grundsicherung im Alter: Die Legende von der massenhaften Rentner-Armut. Das ist (nicht) richtig


Das Statistische Bundesamt hat neue Zahlen zur  Inanspruchnahme der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung veröffentlicht: »Neben den rund 512.000 Empfängerinnen und Empfängern von Grundsicherung im Rentenalter gab es im März 2015 deutschlandweit rund 483.000 Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung wegen dauerhaft voller Erwerbsminderung«, berichten uns die Statistiker. Hier interessiert besonders der Blick auf die älteren Menschen. Immer mehr Menschen sind auf Grundsicherung im Alter angewiesen. Die Zahl der Empfängerinnen und Empfänger dieser Leistung bei Bedürftigkeit ist auf über eine halbe Million Betroffene am Jahresende 2014 angestiegen. 61 Prozent der Bezieher sind Frauen. Am stärksten betroffen vom Grundsicherungsbezug sind Frauen im Rentenalter in Westdeutschland - eine Folge der Konstruktionsprinzipien der klassischen gesetzlichen Rentenversicherung mit ihrer Orientierung am Modell einer möglichst lange und ohne Unterbrechungen absolvierten Erwerbsarbeit mit Beitragszahlungen und die in Vollzeit. Bei vielen westdeutschen Frauen "rächt" sich aus dieser Systemlogik der in früheren Jahren übliche sehr lange Ausstieg aus der Erwerbsarbeit und wenn dann wieder eine aufgenommen wurde, dann zumeist in Teilzeit oder gar geringfügiger Beschäftigung, oft gekoppelt mit einer sehr niedrigen Vergütung mit entsprechend niedrigen bis gar keinen (bei der geringfügigen Beschäftigung) Rentenansprüchen.

Und tschüss!? Zur Inanspruchnahme der "Rente ab 63" und ihren Arbeitsmarktauswirkungen


Die "Rente ab 63" hat im Vorfeld ihrer gesetzgeberischen Einführung polarisiert und sie polarisiert auch nach ihrer Inkraftsetzung. Vor allem in der Wirtschaft läuft man weiter Sturm gegen diesen gerade für die SPD neben dem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn so zentralen sozialpolitischen Baustein der Regierungsarbeit, während man sich im Gewerkschaftslager natürlich eher freut, allerdings zugleich den vorübergehenden Charakter dieser Möglichkeit, früher als bislang ohne Abschläge aus dem Erwerbsleben zu scheiden, beklagt. Im Mittelpunkt der kritisch-ablehnenden Bewertung der "Rente ab 63" stehen zwei Aspekte: Zum einen wird darauf hingewiesen, dass die langjährige Entwicklung in Richtung auf ein späteres Ausscheiden aus dem Erwerbsleben im Sinne einer Annäherung des tatsächlichen Übergangs in die Altersrente an die (frühere) Regelaltersgrenze von 65 durch Maßnahmen wie Abbau der Frühverrentungsmöglichkeiten und die Verschärfung der Abschlagsregelungen bei vorzeitigem Renteneintritt durch die schrittweise Verlängerung des gesetzlichen Renteneintrittsalters ("Rente mit 67") durch die - temporäre, weil auf nur einige wenige Jahrgänge begrenzte - Sonderregelung der "Rente ab 63" durchbrochen wird und damit die trendmäßige Anpassung des tatsächlichen Renteneintrittsalters nach oben aufgehalten und je nach Inanspruchnahme wieder umgekehrt wird (vgl. zum Austritt aus dem Erwerbsleben in den Altersrentenbezug Martin Brussig und Mirko Ribbat (2014): Entwicklung des Erwerbsaustrittsalters: Anstieg und Differenzierung. Der Unterschied zwischen Erwerbsaustrittsalter und Renteneintrittsalter ist nicht trivial, denn: »Nur in etwa einem Drittel der Rentenzugänge eines Jahres erfolgt der Rentenbeginn aus einer unmittelbar vorhergehenden stabilen versicherungspflichtigen Beschäftigung; Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Nichterwerbstätigkeit vor Rentenbeginn sind weit verbreitet.« Und mit dem hier interessierenden Blick auf die Arbeitsmarktauswirkungen ist das Erwerbsaustrittsalter besonders relevant).

Mittwoch, 5. August 2015

Jenseits der Einzelfälle: Die sich selbst beschleunigende Verwüstungsmechanik von abnehmender Tarifbindung im Einzelhandel, gnadenlosem Verdrängungswettbewerb und dem Hamsterrad der Personalkostenreduzierung. Plädoyer für eine Wiederherstellung der Ordnungs- und Schutzfunktion des Tarifsystems gegen die „Rutschbahn nach unten“ durch Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge


Regelmäßig werden wir konfrontiert mit Berichten über problematische, in Teilbereichen nur als mies zu bezeichnende Arbeitsbedingungen des Personals im Lebensmitteleinzelhandel. Immer wieder Lohndumping-Versuche der Arbeitgeber in einer Branche, in der nicht einige wenige Leute beschäftigt sind, sondern sehr viele Menschen, vor allem Frauen, mit ihrer Hände Arbeit den Lebensunterhalt verdienen (müssen). Und auch immer ganz vorne dabei die großen Discounter, aus denen dann den Medien Bruchstücke einer Arbeitswelt zugespielt werden, die ziemlich wenig zu tun hat mit dem Euphemismus „Jobwunder“, mit dem so gerne in Deutschland hantiert wird. Und diese Berichte in den Medien haben in den zurückliegenden Jahren immer mehr zugenommen und sie betreffen fast alle der auf diesem hart umkämpften Markt tätigen Unternehmen. Netto, Lidl, Rewe, auch Edeka – um nur einige aufzurufen. Allein in dieser Woche durchaus prominent platziert kritische Fernsehberichte über Lidl (Lidl als Arbeitgeber vom 03.08.2015) im Wirtschaftsmagazin „WISO“ (ZDF) und nur einen Tag später am 04.08.2015 im Politikmagazin „Report Mainz“ (ARD) der Beitrag Rewe in der Kritik: Wie durch den Verkauf der Märkte Arbeitnehmerrechte ausgehöhlt werden. Und immer sind es die gleichen Muster, mit denen die betroffenen Arbeitnehmer/innen konfrontiert werden. Immer mehr Teilzeitverträge, immer öfter nur Stundenkontingente und Arbeit auf Abruf und immer wieder: unbezahlte Mehrarbeit. Zugleich kaum oder keine betrieblichen Mitbestimmungsstrukturen bzw. da, wo es welche gab, wurden sie beseitigt im Zuge von „Privatisierungen“, also der Übernahme von bislang konzerneigenen Filialen durch selbständige Kaufleute.

Montag, 3. August 2015

Der Acht-Stunden-Tag ist nicht mehr zeitgemäß. Und wer will schon von gestern sein? Aber so einfach darf man es sich nicht machen


Die Infragestellung der bestehenden Regelungen zur täglichen Höchstarbeitszeit im Arbeitszeitgesetz durch die Arbeitgeberverbände wurde schon in einem früheren Beitrag in diesem Blog kritisch unter die Lupe genommen: Arbeitszeit: Schneller und vor allem immer mehr, wenn es denn der einen Seite passt. Zur Arbeitgeber-Forderung nach einer "Flexibilisierung" des Arbeitszeitgesetzes. Aber man muss anscheinend noch mal was nachlegen, wenn man beispielsweise mit solchen Kommentierungen konfrontiert wird: Der Acht-Stunden-Tag ist nicht mehr zeitgemäß, meint Werner van Bebber schon in der Überschrift zu seinem Artikel. Das reizt natürlich, denn wer will schon altbacken und vormodern, eben nicht (mehr) auf der Höhe der Zeit erscheinen? Deshalb auch das Plakat aus der mittlerweile 125 Jahre umfassenden Geschichte der Kundgebungen zum 1. Mai zur Illustration dieses Beitrags (Quelle: DGB, 125 Jahre 1. Mai: Unsere Erfolge im Spiegel der Maiplakate). Und Hand aufs Herz - der auf dem Plakat abgebildete Malocher ist doch nun wirklich irgendwie aus der Opa-Zeit. Geschichte halt. So auch die Argumentation von Bebber: »Die Arbeitswelt hat sich radikal verändert ... Die Malocherjobs werden weniger. Wer eine geistig anspruchsvolle Arbeit macht, der arbeitet selbstständiger denn je, eher an Projekten orientiert und eher in einem Team. Da lässt man nach acht Stunden nicht einfach den Bleistift fallen.« Ja genau, so ist das vielerorts und bei vielen Jobs.

Samstag, 1. August 2015

18 Monate und nicht länger. Oder darf es doch mehr, also länger sein? Die Leiharbeit und die Versuche, sie zu re-regulieren

Von der Absicht über die Aufweichung hin zu einem weichgespülten Umsetzungsergebnis? Sollte nach diesem durchaus bekannten Muster auch die von der Großen Koalition angestrebte Neuregelung der Leiharbeit ablaufen? Es gibt Hinweise darauf, aber die Gefechtslage ist insgesamt komplizierter, auch durch eine unterschiedliche Rechtsprechung verschiedener Gerichtsebenen.
Aber werfen wir zuerst einmal einen Blick auf die Absicht, die am Anfang der Geschichte stand: Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD aus dem Dezember 2013 findet man unter der Überschrift „Arbeitnehmerüberlassung weiterentwickeln“ (S. 49-50) die folgende Absichtserklärung:

»Wir präzisieren im AÜG die Maßgabe, dass die Überlassung von Arbeitnehmern an einen Entleiher vorübergehend erfolgt, indem wir eine Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten gesetzlich festlegen. Durch einen Tarifvertrag der Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche oder aufgrund eines solchen Tarifvertrags in einer Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung können unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Stammbelegschaften abweichende Losungen vereinbart werden ... Die Koalition will die Leiharbeit auf ihre Kernfunktionen hin orientieren. Das AÜG wird daher an die aktuelle Entwicklung angepasst und novelliert:
Die Koalitionspartner sind sich darüber einig, dass Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer künftig spätestens nach neun Monaten hinsichtlich des Arbeitsentgelts mit den Stammarbeitnehmern gleichgestellt werden.«

Vielen sind die 18 Monate hängen geblieben als (geplante) Obergrenze für die Beschäftigung eines entliehenen Arbeitnehmers in einem Unternehmen, nicht aber die dann folgende Inaussichtstellung einer Öffnung nach oben, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind wie beispielsweise eine tarifvertragliche Regelung.