Sonntag, 24. März 2013

Die andere Seite der Leiharbeit bei den Gewerkschaften, ein noch radikalerer Reichtumsbericht von der Bundesbank und über die Frage, warum so viele abschreiben, dass 2060 zwei von drei Deutschen älter als 65 Jahre sein sollen, was aber einfach nur Unsinn ist

Die Leiharbeit ist seit längerem Gegenstand heftiger Angriffe seitens der Gewerkschaften - und die Gewerkschaft ver.di spielt hier eine gewohnt lautstarke Rolle. Ein Mindestlohn von 8,50 Euro brutto in der Stunde, die gleiche Entlohnung von Stammbeschäftigten und Leiharbeitern, diese Forderungen kennen wir alle. Vor diesem Hintergrund ist es natürlich besonders sensibel, wenn man nicht nur auf der Anklägerseite steht, sondern in der Berichterstattung selbst als zumindest "Mittäter" angegriffen wird. Dies kann man diese Tage studieren. Eine "entspanntes Verhältnis zur Leiharbeit" attestiert die "taz" in einem Beitrag der Gewerkschaft ver.di, die "junge Welt" spricht gar von "engagiert bei Leiharbeit". Worum genau geht es? Auslöser war eine Berichterstattung von "Leak Leiharbeit": Die gewerkschaftsnahe "DAA-Stiftung Bildung und Beruf" (Jahresumsatz 2010: 200 Mio. Euro), das ehemalige Bildungswerk der 2001 in ver.di aufgegangenen Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG), ist mit mindestens zwei Tochterfirmen einschlägig aktiv. Unter dem Dach der Ver.di-nahen "DAA-Stiftung Bildung und Beruf" operiert eine Tochterfirma, die Leiharbeit betreibt. Die "DAA Job Plus GmbH" wendet dabei Tarifverträge mit Löhnen unter 8,50 Euro an.

Die DAA-Stiftung ist hauptsächlich als Bildungsträger tätig: Unter dem Stiftungsdach bilden über 15 Einrichtungen Beschäftigte aus oder weiter. Seit der Fusion der DAG mit anderen Gewerkschaften zur neuen Dienstleistungsgewerkschaft ver.di im Jahr 2001 "existiert eine 'enge ideelle Verbindung' zwischen der Stiftung und Ver.di, wie Gewerkschaftssprecher Christoph Schmitz der taz sagte." Die personelle Nähe ist deutlich erkennbar: "Im dreiköpfigen Vorstand der DAA-Stiftung sitzen Gerd Herzberg, bis Herbst 2011 Vize-Bundesvorsitzender von Ver.di, sowie Dina Bösch, amtierendes Mitglied des Ver.di-Bundesvorstands. Unter den Kuratoriumsmitgliedern findet sich zudem der Name von Andrea Kocsis, ebenfalls Mitglied im Ver.di-Bundesvorstand," so die "taz". Die "junge Welt" fügt ergänzend hinzu: "Im neunköpfigen Stiftungskuratorium stellt ver.di sechs Mitglieder: Andrea Kocsis, stellvertretende Bundesvorsitzende, Bundesvorstandsmitglied Lothar Schröder, die baden-württembergische ver.di-Landesvorsitzende Leni Breymaier, die stellvertretenden Vorsitzenden des ver.di-Gewerkschaftsrates Andrea Pohl und Werner Filipowski sowie das Gewerkschaftsratsmitglied Gabriele Platscher." Verdi-Sprecher Schmitz wird in dem taz-Artikel mit den abwehrenden Worten zitiert: "Die DAA-Stiftung ist weder rechtlich noch wirtschaftlich mit Ver.di verbunden. Wir verdienen kein Geld mit Leiharbeit und vermitteln nicht in Leiharbeit."

Die "DAA Job Plus GmbH "umwirbt Arbeitgeber mit Sätzen wie: "Sie tragen dabei keinerlei Beschäftigungs- oder Kündigungsrisiko." Auf der Internetseite findet sich auch die Information, dass die GmbH Tarifverträge anwendet, die zwischen dem Deutschen Gewerkschaftsbund und dem Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen abgeschlossen wurden. Die untersten Tarifvergütungen liegen dabei im Westen bei 8,19 Euro in der Stunde, im Osten bei 7,50 Euro. Das ist zugleich der bundesweit gültige Leiharbeitsmindestlohn", so Eva Völpel in ihrem Artikel.
Neben der "DAA Job Plus GmbH ist aber mindestens noch ein weiteres Leiharbeitsunternehmen Teil des Konzerns, so Jörn Böwe in der "jungen Welt" - und meint die "ZAP – Zeitarbeit, Arbeitsvermittlung und Projektmanagement GmbH". Da gibt es sicher Diskussionsstoff in der Gewerkschaft ver.di. Auf alle Fälle wirbt die DAA-Leiharbeitstochter wie ganz "normale" Leiharbeitsfirmen auch: "Wir stellen die passenden Mitarbeiter (…) und Sie zahlen nur für die geleistete Arbeit. Sie tragen kein Arbeitgeberrisiko, z.B. für Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder Urlaub ... Dadurch sparen Sie sich die aufwendige und langwierige Personalsuche, Personalauswahl und Personaleinstellung."

Die Rente und die Rentner waren mal wieder Thema, als die anstehende Rentenerhöhung zum 1. Juli dieses Jahres bekannt gegeben wurde:  Im Osten steigen die Altersbezüge um 3,29 %, im Westen nur um 0,25 %. "Gefährliche Zumutung", so Rainer Woratschka im "Tagesspiegel" angesichts der anstehenden Bundestagswahl im September dieses Jahres. Er zitiert die Bundesrentenministerin Ursula von der Leyen (CDU): „Der Osten holt auf“, sagte sie. Für die Westrentner benötigte die CDU-Politikerin schon die Zukunftsform. 2014 hätten auch sie wieder ein „spürbares Plus“ zu erwarten. Das nun wieder muss man so lesen, 2014 würde es dann eine "richtige" Bescherung geben für die West-Rentner, also dann eine von solchem Format, wie sie dieses Jahr mit den mickrigen 0,25% gerade nicht erreicht werden wird. Die genannte Renten"erhöhung" von 0.25% ist ja bei Berücksichtigung der Inflationsrate nicht nur keine "Nullrunde", sondern eine einfache Rentenkürzung. Allein die verärgerten Ruheständler im Westen bringen es potenziell auf 16,6 Millionen Stimmen bei der anstehenden Bundestagswahl. Und auch die prima facie höhere Anhebung der Renten im Osten wird die Laune der Westrentner nicht verbessert haben, ganz im Gegenteil.
Fabian Lambeck erläutert in seinem Artikel "Alle reden plötzlich von Angleichung" die Hintergründe dieser aktuellen Entwicklung bei der Rentenanpassung: "Wenn man so will, dann ist das direkte Folge eines Wahlkampftricks. Die im Wahljahr 2009 eingeführte Rentengarantie sollte offiziell bewirken, dass die Altersbezüge auch dann nicht gekürzt werden, wenn das wegen zurückgehender Gehälter eigentlich geschehen müsste. Die Bundesrepublik befand sich damals mitten in der Wirtschaftskrise. Die Garantie wurde dadurch erkauft, dass man die Rentensteigerungen in den Folgejahren einfach halbierte. Die Ostrentner waren in der Krise aber nicht so sehr auf die Rentengarantie angewiesen wie die Ruheständler im Westen. Dort hatten die Exporteinbrüche auch die Löhne gedrückt. Im weitgehend deindustrialisierten Osten spielte das kaum eine Rolle." Der FDP-Fraktionsvize Heinrich Kolb wird  mit den Worten zitiert: "Hätten wir bereits ein einheitliches Rentenrecht, würden die Bezüge im Juli nicht unterschiedlich stark steigen." Wenn, dann ja. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hatte im Koalitionsvertrag eine entsprechende Änderung vereinbart. Allerdings bislang ohne Konsequenzen. Das unterschiedliche Rentenrecht zwischen Ost und West führe - so der Rentenexperte der Linkspartei, Matthias Birkwald - dazu: "Trotz der Anpassung zum 1. Juli erhielten Rentner in den neuen Ländern nach 45 Berufsjahren immer noch 108 Euro weniger."

Immer wieder Thema: Der Kita-Ausbau. "Zeit Online" veröffentlichte einen Beitrag - oder besser: ein Loblied - über die neue, angebliche Gründungswelle von "Betriebskitas": "Wir gehen arbeiten", so der Artikel von Kerstin Bund und Elisabeth Niejahr: "Perfekt ausgestattet und flexibel: Kitas großer Konzerne setzen Maßstäbe. Kann der Staat da mithalten?" Natürlich nicht, werden hier doch wieder mal Äpfel mit Birnen verglichen. Da ist eine andere Entwicklung hinsichtlich einer anzustrebenden Verbesserung der Situation der flächendeckenden Versorgung  der Kinder schon interessanter, wie sie derzeit bei unseren Nachbarn in Österreich diskutiert wird: "Gewerkschaft fordert einheitliches Kindergartengesetz", meldet "Die Presse". Dort gibt es ein vergleichbares Problem wie bei uns: In den Bundesländern gibt es einen "Fleckerlteppich" an Regelungen für die Kindergärten und das soll sich ändern: "Die Kindergartenpädagoginnen fordern es schon lange, nun setzt sich auch endlich die Gewerkschaft ein: Sie fordert ein einheitliches Gesetz für die Kinderbetreuung in ganz Österreich, kleinere Kindergruppen, größere Räume und angemessene Gehälter für die Kindergarten-Pädagoginnen und ihre Assistentinnen." Die Gewerkschaften Gewerkschaften GdG-KMSfB, GPA-djp und vida haben sich hierfür an das Parlament in Wien gewandt. Der Artikel lässt die Gewerkschaftsvertreter mit ihren Forderungen zu Wort kommen:

"Die Strukturen und Bestimmungen in den einzelnen Ländern sind zu unübersichtlich - sie gleichen einem Fleckerlteppich", argumentierte GdG-Vorsitzender Christian Meidlinger. Die Bedingungen bezeichnete er als "schlichtweg unzumutbar - es herrscht Einsturzgefahr für das elementare Bildungssystem in Krippen, Kindergärten und Horten." Abhilfe könne nur ein einheitliches Bundesrahmengesetz schaffen. Dabei müsse auch die Ausbildung der Kindgergartenpädagogen reformiert werden. Meidlinger wünscht sich dafür die Schaffung einer pädagogischen Hochschule. Aber auch für die Kindergartenassistentinnen brauche es eine bundesweit einheitliche Ausbildung, ergänzte vida-Vorsitzender Gottfried Winkler. Eine Senkung der Anzahl der Kinder pro Gruppe und eine Erhöhung der Anzahl der Betreuerinnen forderte GPA-Vorsitzender Wolfgang Katzian. Zudem verlangte er zusätzlich Unterstützung durch speziell geschultes Personal wie Logopädinnen oder Sprachtherapeutinnen. Für eine angemessene Bezahlung wünscht sich Katzian einen einheitlichen Kollektivvertrag für den privaten Bereich, damit Beschäftigte nicht unter dem Niveau des Mindestlohntarifs bezahlt werden, verwies er auf die Angestellten der Caritas in Oberösterreich, die bald für höhere Gehälter streiken werden."

  Ja, so etwas würde man sich auch für Deutschland wünschen. Während die Österreicher uns beim Ausbau weit hinterhinken, könnten wir uns was von diesen notwendigen Vorstößen abschauen.

Hatten wir nicht vor kurzem diese an eine veritable Posse erinnernde Auseinandersetzung über den aufgehübschten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung? Dabei ging es auch um Versuche seitens der FDP, unliebsame Äußerungen über die weiter auseinanderlaufende Schwere zwischen den Armen und den Reichen aus dem Bericht zu tilgen. Aber was macht die FDP jetzt gegen die Bundesbank? Denn die hat noch einen nachgelegt:  "Eine aktuelle Untersuchung der Bundesbank zeigt: Der Abstand ist noch deutlich krasser als der Armutsbericht der Bundesregierung nahelegt", so berichtet das "Handelsblatt" unter der Überschrift "Tiefe Kluften zwischen arm und reich": "Eine Studie mit neueren Daten, die die Bundesbank heute vorgelegt hat, zeigt jetzt sogar eine noch stärkere Spreizung bei den Vermögen: Demnach besitzen die reichsten zehn Prozent der Haushalte 58 Prozent des gesamten deutschen Privatvermögens. Berücksichtigt wird dabei praktisch alles, was als Anlageform dient: Immobilien, Fonds, Lebensversicherungen, Schmuck und vieles mehr. Abgezogen werden jeweils die Schulden." Vor 15 Jahren, als das Statistische Bundesamt eine ähnliche Untersuchung machte, waren es 45 Prozent gewesen, also satte 13 Prozentpunkte weniger. Im neuen, dem vierten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung findet man noch den Wert 53 Prozent. Zumindest hinsichtlich des Vermögens kommen die Bundesbanker zu dem Befund, dass die Spreizung beim Vermögen immer größer wird. Zugleich wird konstatiert, dass die Verteilung in Deutschland deutlich ungleicher als in anderen Ländern sei.

Hans Christian Müller hat im Handelsblatt das folgendermaßen und unter der programmhaften Überschrift "Hohe Einkommen müssen stärker besteuert werden" kommentiert: "Nüchtern betrachtet ist es auch einfach ein Zeichen dafür, dass der Staat die oberen Einkommen in den letzten Jahren zu wenig besteuert hat, schließlich entsteht Vermögen aus nicht ausgegebenem Einkommen." Mit welcher Konsequenz? "Also muss die Einkommensbesteuerung steigen, zumindest für die Top-Löhne und hohe Kapitaleinkommen. Früher angehäuftes Privatvermögen verschwindet dadurch nicht und soll es auch nicht. Doch Einkommen, das aus früher angehäuftem Privatvermögen entsteht, das kann ruhig höher besteuert werden. Dann steigt das Vermögen der Reichsten der Reichen auch nicht mehr stärker als das der Normalverbraucher."

Die lieben Zahlen. So viele Menschen haben Probleme mit ihnen - und so viele machen gerne Politik mit ihnen. So auch die Bertelsmann-Stiftung, die zu vielen Themen und drängenden Fragen unserer Zeit Studien mit ganz vielen Zahlen heraushaut, von der Inklusion bis hin zur Rentenpolitik. Denn natürlich will die Stiftung handfeste Politik machen. Und nicht nur beobachten. Auch nicht nur begleiten, sondern eben machen. Die von ihr in Auftrag gegebenen Expertisen haben die Funktion einer wissenschaftlich daherkommenden Ummantelung der eigenen, eigentlichen Forderungen. So beispielsweise der nach einer weiteren Anhebung des Renteneintrittsalters (und damit einer Verschärfung der bestehenden Rentenkürzungen in Form von lebenslagen Rentenabschlägen bei denen, die es nicht schaffen mit dem Weiterarbeiten bis in das hohe Alter: "Der Renteneintritt der Babyboomer setzt die Rentenversicherung schon bald wieder unter erheblichen Druck", so de Stiftung vor einigen Tagen. In ihrer Pressemitteilung vom 11. März 2013 behauptet die Stiftung, dass 2060 mehr als 63 Prozent der Bevölkerung 65 Jahre und älter sein wird. Das wären ja 2 von 3 Menschen, die dann in unserem Land leben. Ungeprüft und vollkommen unkritisch gegenüber der Bertelsmann Stiftung wird diese absurde "Schreckensmeldung" von dpa und vielen anderen verbreitet. Kurze Zeit später meldet sich Paul M. Schröder vom Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe zu Wort: "Die 'Agenda 2060': Bertelsmann Stiftung verbreitet absurde Bevölkerungsprognose", so hat Schröder seine Replik auf die Bertelsmänner überschrieben. In der Pressemitteilung der Stiftung findet Schröder den folgenden Passus, an dem er sich dann abarbeitet:

„Der zusätzliche Druck auf das Rentensystems ergibt sich nach den Berechnungen aus dem anhaltenden demographischen Wandel in der deutschen Bevölkerung. Während heute der Anteil der über 65-Jährigen bei 30 Prozent liegt, sieht die Prognose für 2030 einen Anteil von 49 Prozent und für 2060 von 63 Prozent.“

Und hier die Klarstellung von Paul M. Schröder vom BIAJ:

Schon die Behauptung, heute sei 30 Prozent der Bevölkerung 65 Jahre und älter ist absolut falsch. Ende 2011 war 20,6 Prozent der Bevölkerung 65 Jahre und älter. Und auch wenn es selbstverständlich keine sicheren Bevölkerungsprognosen für das Jahr 2060 gibt, es gibt die 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung der statistischen Ämter der Länder und des Bundes. Und in der Variante „Obergrenze der ‚mittleren Bevölkerung’ ist für 2060 tatsächlich die Zahl 63,1 zu finden ... Nur sagt diese nicht aus, dass 63,1 oder kurz 63 Prozent der Bevölkerung im Jahr 2060 65 Jahre und älter sein werden. Sondern: „Auf 100 20 bis unter 65-Jährige kommen 63,1 65-Jährige und Ältere“. Das ist aber eine vollkommen andere Aussage als die nicht nur in den Bertelsmann-Medien ungeprüft und unkritisch verbreitete „Schreckensmeldung“.

Die Korrektur-Verrenkungen der Stiftung aus Sicht von Paul M. Schröder können hier nachgelesen werden.