Donnerstag, 7. Juli 2016

Der Mindestlohn und seine Kommission. Die Arbeitnehmervertreter sind sauer über "gravierende Fehldarstellungen" im ersten Bericht der Kommission über die Auswirkungen der Lohnuntergrenze


Erst vor wenigen Tagen bekam die Mindestlohnkommission eine ordentliche Portion Aufmerksamkeit, als es darum ging, ob und in welcher Höhe der gesetzliche Mindestlohn zum 1. Januar 2017 angehoben wird. Herausgekommen sind bekanntlich 34 Cent mehr als gegenwärtig, somit also 8,84 Euro pro Stunde (vgl. dazu den Beitrag Der gesetzliche Mindestlohn und seine rechnerische Zähmung vom 29. Juni 2016).

Aber die Kommission hat auch die Aufgabe, über den gesetzlichen Mindestlohn und seine Auswirkungen zu berichten, was ebenfalls Ende Juni 2016 erstmals erfolgt ist: Erster Bericht zu den Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns, so ist das Werk überschrieben. Und wem das noch nicht reicht, der kann sich dann zusätzlich mit dem Ergänzungsband zum ersten Bericht der Mindestlohnkommission beschäftigen, da findet man die Stellungnahmen von ganz vielen Akteuren zu einer schriftlichen Anfrage der Kommission, wie sie das wahrnehmen mit den Auswirkungen. Und mit Blick auf diesen Bericht gibt es jetzt von der Arbeitnehmerseite in der Kommission heftige Vorwürfe: "Gravierende Fehldarstellungen" im Mindestlohn-Bericht, teilt uns der DGB mit. Viele Ansätze seien "einseitig und geben lediglich die Position der Arbeitgeber wieder". Die drei gewerkschaftlichen Mitglieder der Kommission (DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell, NGG-Vorsitzende Michaela Rosenberger und der IG-BAU-Vorsitzende Robert Feiger) haben deshalb ihre Positionen zu den "gravierendsten Fehldarstellungen" zusammengefasst.

Die drei Arbeitnehmervertreter in der Mindestlohnkommission haben ihre Kritik in dem Papier Aspekte, die in der Mindestlohnkommission aus Sicht der ArbeitnehmerInnen zum Bericht an die Bundesregierung kontrovers diskutiert wurden zusammengetragen.

Was sind die Hauptkritikpunkte?

Der Bericht der Mindestlohnkommission an die Bundesregierung sei durchzogen von Denkansätzen und Studien, die sich zum Teil widersprechen. Außerdem seien sie "einseitig und geben lediglich die Positionen der Arbeitgeber wieder", kritisieren die gewerkschaftlichen Kommissionsmitglieder. Entsprechende Studien hätten vor Einführung des gesetzlichen Mindestlohns vor "massiven Arbeitsplatzverlusten von bis zu einer Million" Jobs gewarnt. Diese Prognosen waren schlicht und einfach falsch: Statt Jobverlusten ist die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung seit Einführung des Mindestlohns sogar massiv gestiegen. Dennoch bilden diese Studien an vielen Stellen die wissenschaftliche Grundlage für den Mindestlohnbericht.

Die Mindestlohnforschung wird im Bericht auf nur zwei Modelle reduziert – beides neoklassische Arbeitsmarkttheorien, die den Mindestlohn einzig und allein als Kostenfaktor begreifen. Keynesianistische Modelle, in denen der Mindestlohn auch eine Funktion für die Binnenkonjunktur, als Deflationsbremse und eine gesamtwirtschaftliche Stabilitätsfunktion hat, fehlen im Bericht völlig. Außerdem werden die Arbeitskosten als wesentlicher Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen dargestellt. Dass auch Produktqualität, Standortvorteile und -nachteile, Infrastruktur und Beschäftigtenfluktuation Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit haben, wird im Bericht ausgeblendet.

"Im Bericht kommt nicht klar zum Ausdruck, dass die Mindestlohnkontrollen und -sanktionen in Deutschland bislang völlig unzureichend sind", heißt es in den Positionen der Arbeitnehmervertreter in der Mindestlohnkommission. Aus Sicht der Gewerkschaften seien schon die versprochenen 1.600 zusätzlichen Stellen bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls (FKS), die bis 2019 bereitgestellt werden sollten, zu wenig gewesen.

Wobei man hier anmerken muss, dass selbst die unterdimensionierte Personalaufstockung in der Realität nicht erreicht wurde bzw, wird. Vgl. dazu meinen Beitrag Flüchtlingsbetreuung sticht Mindestlohn-Kontrolle. Der Zoll muss umverteilen - und es trifft vor allem die Mindestlohn-Kontrolleure vom 12. September 2015.

Langzeitarbeitlose können laut Mindestlohngesetz die ersten sechs Monate ihrer neuen Beschäftigung zu Löhnen unter dem gesetzlichen Mindestlohn beschäftigt werden. Der DGB hat diese Ausnahme stets kritisiert. Und jetzt zeigt sich: Sie läuft komplett ins Leere. Nicht einmal 0,3% der potenziellen Zielgruppe, also aller Langzeitarbeitsloser, haben die entsprechende Bescheinigung beim Jobcenter oder einer Arbeitsagentur beantragt, mit der ihr Arbeitgeber weniger als den Mindestlohn zahlen dürfte. Bundesweit wurden von August 2015 bis April 2016 gerade einmal 1.990 solcher Bescheinigungen ausgestellt.

Die Arbeitnehmerseite in der Mindestlohnkommission kritisiert am Mindestlohnbericht außerdem, dass die dargestellten Auswirkungen der Zuwanderung von Flüchtlingen auf dem Arbeitsmarkt, nur Mutmaßungen und Spekulationen seien.