Montag, 11. April 2016

Die Armut älterer Menschen und die Wohnungsfrage. Eine Studie und viele offene Fragen


In der neueren Armutsdiskussion - beispielsweise rund um den im Februar 2016 veröffentlichten Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und anderer Sozialverbände (vgl.  Zeit zu handeln. Bericht zur Armutsentwicklung in Deutschland 2016) - spielt das Thema Altersarmut eine wichtige Rolle. Bislang konnte man sagen, dass die Altersarmut - wenn man sie denn misst an den Einkommensarmutsgefährdungsquoten - noch nie so niedrig war wie in den zurückliegenden Jahren. Das ist durchaus auch und gerade als ein Erfolg der "alten", umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung als wichtigster Säule des Alterssicherungssystems zu verstehen. Aber offensichtlich verändert sich mit Blick auf diese Personengruppe einiges zu deren Ungunsten. So schreiben die Herausgeber des neuen Armutsberichts: »Hauptrisikogruppen seien Alleinerziehende und Erwerbslose sowie Rentnerinnen und Rentner, deren Armutsquote rasant gestiegen sei und erstmals über dem Durchschnitt liege.«

Auf einen ganz besonders wichtigen, in der bisherigen Diskussion über Altersarmut immer noch aber vernachlässigten Aspekt weist eine neue Studie hin, die vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) veröffentlicht worden ist: Lebenslagen und Einkommenssituation älterer Menschen. Implikationen für Wohnungsversorgung und Wohnungsmärkte, so ist sie überschrieben. Erstellt wurde sie von Analyse & Konzepte. Beratungsgesellschaft für Wohnen, Immobilien, Stadtentwicklung aus Hamburg und dem Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik (ISG) aus Köln.

Das Interesse des BBSR und die Zielsetzung der Untersuchung wird so formuliert: »Der demographische Wandel wird die Anzahl und den Anteil älterer Menschen erhöhen. Dies wird sich auch auf die Wohnungsmärkte auswirken, denn Seniorinnen und Senioren stellen besondere Ansprüche an die altersgerechte Ausstattung ihrer Wohnung und ihres Wohnumfelds. Die Wohnsituation im Alter wird aber auch beeinflusst durch die jeweiligen Lebenslagen – die gesundheitliche Verfassung, die Haushaltsform, und durch die Höhe der Renteneinkünfte. Nicht zuletzt spielt die heutige Wohnsituation der künftigen Rentnergeneration in den unterschiedlichen regionalen Wohnungsmärkten eine wichtige Rolle. Die Studie erarbeitet eine systematisch aufbereitete Grundlage über die heutige und zukünftige Einkommenssituation, die Lebenslagen und Wohnbedarfe älterer Menschen und nimmt vor dem Hintergrund der Diskussionen um eine zunehmende Altersarmut insbesondere einkommensschwächere Seniorinnen und Senioren in den Blick. Die Studie entwirft auf Basis umfangreicher Datenauswertungen Szenarien für das Jahr 2030. Diese beziehen sich auf Haushaltszahlen, das Armutsrisiko älterer Menschen in den regionalen Wohnungsmärkten sowie die wohnungsbezogenen Sozialleistungen Wohngeld und Grundsicherung im Alter.«

Hier einige Befunde und Schlussfolgerungen aus der Studie (vgl. S. 108 ff.):

Die Studie habe deutlich gemacht, »dass bis zum Jahre 2030 mit einer erheblichen Zunahme armutsgefährdeter Haushalte älterer Menschen und einem überproportionalen Anstieg der Transferleistungen zu rechnen ist. So lässt der demografische Wandel in allen Regionen den Anteil an Älteren mehr oder weniger stark ansteigen, insbesondere in der Gruppe der Hochaltrigen mit einem hohen Anteil Alleinstehender, die ein besonders hohes Armutsrisiko aufweisen. Dieser Prozess ist im Prinzip kaum zu beeinflussen.
Darüber hinaus hat die wirtschaftliche Lage und Arbeitsmarktsituation der vergangenen 20 Jahre dazu geführt, dass ein Teil der zukünftigen Senioren erhebliche Einkommenseinbußen und verringerte Rentenansprüche zu verzeichnen hat, auf­ grund derer auch kaum Altersvorsorge betrieben und Vermögen aufgebaut werden konnten. Diese Defizite sind für die meisten bis zum Renteneintritt kaum noch aufzuholen.«

Im Zentrum der Studie stand die »Frage, inwieweit Armutsgefährdete in der Lage sind, sich am Wohnungsmarkt mit adäquatem Wohnraum zu versorgen. Ist dies nicht der Fall, so gibt es zwei Ansätze für staatliches Handeln. Zum einen liegt der vom Grundgesetz abgeleitete und im SGB verankerte Anspruch auf eine soziale Grundsicherung zu­ grunde, der es Leistungsberechtigten ermöglicht, ein Leben zu führen, das der Würde des Men­schen entspricht. Zum anderen können politische Interventionen gerechtfertigt werden, wenn es am Markt zu gesellschaftlich unerwünschten Entwicklungen kommt und der Markt selber nicht im ausreichenden Maß funktioniert und die Nachfra­ge deckt.«

»Zentrales Instrument ist die Grundsicherung im Alter und die damit verbundene Übernahme der Bedarfe für Unterkunft und Heizung, soweit die Wohnungen angemessen sind. Sie ist naturge­mäß subjektorientiert und soll dem Leistungsbe­rechtigten das Existenzminium sichern. Hierbei sind die Richtwerte zur Miethöhe angemessenen Wohnraums lokal zu ermitteln und festzusetzen. Dies sollte entsprechend der Intentionen des Ge­setzgebers sowie der laufenden Rechtsprechung wohnungsmarktkonform ausgeführt werden. Das heißt, die Richtwerte müssen so angesetzt werden, dass für die Leistungsberechtigten stets ausreichend Wohnraum zur Verfügung steht. Damit stellen die Wohnkosten für sie keine Belastung mehr dar, und zwar unabhängig von der Wohnungsmarktsituation.« Soweit die Theorie.

»Denn die Wohnkosten werden nur übernommen, wenn der Wohnraum angemessen ist und dem einfachen Standard genügt. Durch diese Beschreibung des Existenzminimums erfolgt zugleich auch eine des Maximums, auch wenn im Rahmen der Produkttheorie gewisse Spielräume bestehen. Hinsichtlich des Wohnungsmarktes ist hierbei entscheidend, dass neben der Höhe der Wohnkosten eine weitere objektspezifische Beschränkung für die Leistungsberechtigten besteht, also nur bestimmte Wohnungen infrage kommen. Dies hat neben sozialräumlichen Disparitäten auch Auswirkungen auf die Bestandsentwicklungsstrategien der Eigentümer, da diese Regelungen zuerst einmal Investitionen erschweren.

Des Weiteren ergibt sich aus Sicht der leistungsberechtigten Senioren ein Problem, wenn bei älteren Paaren der Partner verstirbt, denn dann wird die bewohnte Wohnung fast immer sofort unangemessen. Gerade bei den älteren Senioren über 80 Jahre ist jedoch ein Umzug aus diesem Grund häufig nicht zumutbar und erfolgt nach Einzelfallprüfung in der Regel nicht. Da diese Gruppe in allen Regionen deutlich zunehmen wird, bekommt dieses Problem einen immer größeren Stellenwert und erfordert eine grundsätzliche Regelung.«

Und wie sieht es mit dem Wohngeld aus?

»Zur Dämpfung der Wohnkostenbelastung bzw. des Wohnkostenanstiegs ist Wohngeld als Subjektförderung geeignet. Durch die abnehmende Relation zwischen Wohnkostenhöhe und Zuschuss gibt es zwar ähnlich wie bei der Grundsicherung letztendlich eine Obergrenze der Förderung, die aber eine Abstufung erlaubt. Dieser Effekt sowie der verbleibende Betrag geben dem Leistungsempfänger einen Anreiz zu Sparmaßnahmen. Des weiteren entfallen Regelungen zu Anforderungen an die Beschaffenheit der Wohnung. Insgesamt wird mit dem Wohngeld auf den Wohnungsmarkt reagiert, ohne diesen zu beeinflussen.
Allerdings ist hier die Abstimmung auf die lokalen Wohnungsmarktverhältnisse weniger ausgeprägt als bei der Grundsicherung, da die regionalen Un­terschiede nur über sechs Mietenstufen differenziert werden.
Die derzeitigen Miethöchstbeträge des Wohngelds bilden die regionalen Wohnungsmarktunterschiede jedoch nicht ausreichend ab, sowohl in ihrer Höhe – insbesondere für 1-Personen-Haushalte – als auch hinsichtlich der räumlichen Differenzierung nach Mietenstufen. Die tatsächlich vorliegenden Mietniveaus der jeweiligen Kommune werden nicht im vollen Maße berücksichtigt.«

Was schlagen die Verfasser vor? Was kann und sollte man tun?

»Insgesamt ist es erforderlich, die Zunahme armutsgefährdeter Älterer und ihre Wohnsituation in wohnungspolitischen Zielsetzungen zu berücksichtigen und ein entsprechendes Handlungsprogramm zu formulieren. So kann mit flankierenden und unterstützenden Maßnahmen auf kommunaler Ebene der prekären Situation einkommensschwacher Älterer begegnet werden. In der lokalen Stadtplanung sollten problematische Quartiere stabilisiert und aufgewertet werden, um so auch nachhaltig soziale Brennpunkte zu vermeiden.«

»Viele Schwierigkeiten in der Wohnsituation ein­ kommensschwacher Älterer könnten vermieden werden, wenn frühzeitig agiert wird und die betroffenen Personen über notwendige Informationen verfügen würden. Informations- und Unter­ stützungsangebote seitens der Stadt können hier konkret Abhilfe schaffen. Diese Angebote sollten die Beratungen hinsichtlich des Bezugs von Transferleistungen und Fördermitteln beinhalten, aber auch Informationen und Beratungen zum Wohnungsmarkt vorhalten. So kann bei der Wohnungssuche geholfen oder ein potenzieller Hausverkauf begleitet und unterstützt werden.«

Es bleibt das Gefühl, dass wir gerade hinsichtlich des Zusammenspiels von Einkommensarmut und der Wohnungsfrage einer gewaltigen sozialpolitischen Herausforderung entgegen gehen. Die Vorschläge erscheinen da irgendwie klein und eher hilflos.