Freitag, 14. März 2014

Schon mal was von "Nullstundenverträgen" gehört? Oder von philippinischen Lkw-Fahrern, die es in Deutschland für 628 Monat machen (müssen) - pro Monat natürlich?

Wieder einmal muss aus den Kelleretagen der - eigentlich gar nicht so - neuen Arbeitswelt berichtet werden.
Behandeln wir zuerst die "Nullstundenverträge", ein derzeit in Großbritannien um sich greifendes Übel auf dem Arbeitsmarkt. Über eine starke Zunahme von Nullstundenverträgen in Großbritannien berichtet Florian Röter in seinem Artikel. Es ist für so manchen Arbeitgeber das Trauminstrument der Ausbeutung, für die Betroffenen sicherlich ein echter Albtraum. Wenn man die folgende Beschreibung liest, dann kann einem schlecht werden angesichts der Perfidie, die in diesem Instrumentarium steckt:

»Vereinbart wird bei Nullstundenverträgen der Stundenlohn, der Arbeitnehmer steht auf Abruf bereit, erhält aber keine Garantie, dass er überhaupt arbeiten darf und etwas verdient. Der Arbeitgeber sichert sich ab, flexibel ist nur der virtuelle Arbeitnehmer, der auf Arbeit und Entgelt hoffen muss und während der vereinbarten Zeiten, womöglich den ganzen Tag, zur Verfügung steht. Auch wenn die Abrufarbeitnehmer kein geregeltes oder gar kein Einkommen haben, so fallen sie für die Regierung praktischerweise doch aus der Arbeitslosenstatistik heraus, schließlich besitzen sie ja einen Arbeitsvertrag.«

Bereits im vergangenen Jahr wurde bekannt, dass in Großbritannien Unternehmen wie McDonald's schon 90% ihrer Mitarbeiter mit solchen Verträgen auf Abruf beschäftigen. »Solche Beschäftigungsverhältnisse bieten auch Burger King, Amazon oder Sports Direct an, aber auch der Buckingham Palace oder der National Trust. In der Gastronomie, der Hotellerie, der Pflege, dem Einzelhandel oder überhaupt im Dienstleistungsbereich.« Bei so einer arbeitgeberfreundlichen Ausgestaltung kann man dann auch ruhig Mindestlohn zahlen, wenn denn der Arbeitnehmer konkret eingesetzt wird.

Um welche Größenordnung geht es hierbei? »Nach der britischen Statistikbehörde waren im letzten Jahr 250.000 mit Nullstundenverträgen "beschäftigt". Die Zahl wurde aber als viel zu niedrig eingeschätzt und nach Umfragen eher auf eine Million geschätzt. Die Statistikbehörde hat ihre Zahlen für 2013 noch einmal überprüft und kommt jetzt auf 582.935 Menschen mit Nullzeitverträgen, also doppelt so viel, als sie letztes Jahr berechnet hatte, und dreimal so viele wie noch 2010.«
Auch der britische "Guardian" hat über die Zunahme der Nullstundenverträge berichtet: "Figures show huge rise in zero-hours contracts".

Nun wird der eine oder die andere sagen, okay, Großbritannien mal wieder. Bei uns kann es so was nicht geben. Dann sollte man einen Blick in diesen Beitrag von Ribanna Rubens werfen, der bereits im Oktober des vergangenen Jahres veröffentlicht wurde: "Null-Stunden-Arbeitsverträge in Deutschland?":

»Wie die Gewerkschaft ver.di berichtet, sind auch in Deutschland die so genannten Zero-Hour Contracts auf dem Vormarsch. Solche Verträge existierten vor allem in der Dienstleistungsbranche, in Hotellerie und Gastronomie, im Einzelhandel, aber auch im Gesundheits- und Bildungsbereich.«
Annelie Buntenbach vom DGB-Bundesvorstand, wird mit dem folgenden Satz zitiert: „Hier wird eine neue Qualität der Ausbeutung erreicht“.

Und dann das hier:

»Unternehmensverbände und Vertreter der Zeitarbeitsbranche verteidigten dagegen die Null-Stunden-Verträge und sprachen von einer einseitigen und verzerrenden Darstellung. Es handle sich um ein neues Instrument zur Flexibilisierung der Arbeitswelt, das sich bewähren müsse, heißt es in einer vom iGZ, dem Interessenverband deutscher Zeitarbeitsunternehmen vorgelegten Studie. Es sichere Arbeitsplätze und könne vor allem Langzeitarbeitslosen und Gering-Qualifizierten zugute kommen.«

Ja klar.

Aber ist das überhaupt rechtlich zulässig?

»Das Bundesarbeitsgericht urteilte 2005, dass maximal 25 % der wöchentlichen Arbeitszeit „auf Abruf“ vereinbart sein dürften. Viele Arbeitgeber weichen deshalb auf europäische Tochterunternehmen oder ausländische Subunternehmer aus, um auch hierzulande Arbeitsverträge ohne verbindliche Vorgaben zur Arbeitszeit durchzusetzen.«

Kommen wir zu einem zweiten Beispiel der ausbeuterischen Metastasierungen auf dem Arbeitsmarkt: Was soll man von so einer Überschrift halten? "Für 628 Euro durch Europa. Philippiner wollen nicht länger zu Dumpinglöhnen in Deutschland Lkw fahren". Krass ist das erste, was einem dazu einfällt. Schauen wir genauer hin. Olaf Harding erläutert uns das Geschäftsmodell:
»Sie werden in Manila angeworben, nach Riga geflogen und schließlich von Lübeck aus auf die europäischen Autobahnen geschickt. Rund 100 philippinische Fahrer soll das lettische Logistikunternehmen Dinotrans inzwischen beschäftigen - weil die Männer erstens Englisch sprechen und zweitens als ebenso zuverlässig wie genügsam gelten. Rund 850 Dollar im Monat werden für den Job gezahlt, dazu kommen Spesen zwischen 250 und 500 Euro - je nach Dauer des Beschäftigungsverhältnisses. Zum Vergleich: In tariftreuen deutschen Speditionen verdienen Fahrer gut 2000 Euro im Monat - plus Spesen, versteht sich.«

Am 21. Februar 2014 haben mehrere Dutzend philippinische Fahrer in Lübeck die Arbeit niedergelegt, weil ihr Monatslohn bei Dinotrans wechselkursbedingt auf gerade einmal 628 Euro pro Monat gesunken war. Es handelte sich also um einen "wilden Streik". Mit Erfolg: »Erst nachdem der kurzfristig nach Lübeck geeilte Geschäftsführer Staffan Resare in Anwesenheit philippinischen Botschaftspersonals einen festen, in Euro ausgezahlten Monatslohn zugesagt hatte, nahmen die Fahrer ihre Arbeit wieder auf.«

Am Ende der Artikels von Olaf Harding findet sich dann dieser wichtige Absatz:

Eine Veränderung hat die Arbeitsniederlegung unterdessen bewirkt: Die Männer aus Manila werden von anderen Fahrern nicht einzig auf ihre Rolle als Dumping-Konkurrenz reduziert, sondern vermehrt als Kollegen betrachtet - und das mit Respekt. Der Kommentar eines Fahrers im »Trucker-Forum«: »Einfach aufgehört zu arbeiten, trotz Bedrohung von Dinotrans (…). Von dem Stolz und dem Mut dieser Leute können wir uns eine riesen Scheibe abschneiden.«

So ist es.