Freitag, 29. März 2013

Mindestlohn in der Toilette eher nicht und in der Pflege bloß nicht? Real ist auf alle Fälle das eigentlich "unchristliche" Lohndumping

Das Thema "Mindestlohn" polarisiert - nicht nur die politische Debatte zwischen den Parteien, sondern auch die Rechtsprechung muss sich mit den Tiefen respektive Untiefen der Lohnuntergrenzen einzelfallbezogen auseinandersetzen: Den einen wird der Mindestlohn verweigert, bei den anderen wird für eine Verweigerung plädiert. Aber der Reihe nach.

Da ist zum einen der Fall einer Toilettenfrau, die vor dem Hamburger Arbeitsgericht geklagt hatte, den Mindestlohn für Putzfrauen zu bekommen, der ihr bislang vorenthalten wurde. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts: "Nur eine Toilettenfrau, die tatsächlich auch den Großteil ihrer Arbeitszeit mit Reinigungsarbeiten zubringt, hat Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn als Putzfrau.
Das hat jetzt das Hamburger Arbeitsgericht entschieden", so berichtet es die Süddeutsche Zeitung unter der Überschrift "Eine Toilettenfrau ist keine Putzfrau". Das Hamburger Arbeitsgericht beschreibt in seiner Pressemitteilung den Sachverhalt: "Die Klägerin war von April bis September 2012 als so genannte Sanitärbetreuerin für ein Dienstleistungsunternehmen in den Räumen eines großen Hamburger Warenhauses tätig. Sie hat für ihre Vollzeittäigkeit ein Grundgehalt von 600 € brutto erhalten. Zusätzlich hat der Arbeitgeber jedenfalls in den letzten Monaten des Arbeitsverhältnisses freiwillige Prämien gezahlt. Die Klägerin hat die Zahlung des tariflichen Mindestlohns nach dem  „Tarifvertrag zur Regelung der Mindestlöhne für gewerbliche Arbeitnehmer in der Gebäudereinigung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland“ vom 23. August 2011 von 8,82 € je Stunde verlangt." Einschließlich Prämien habe seine Mandantin in manchen Monaten lediglich etwa 4,30 Euro pro Stunde verdient, erklärte der Anwalt der Frau. Das Arbeitsgericht hat die Klage der Frau abgewiesen, denn die Frau habe nicht beweisen können, dass sie mehr als die Hälfte ihrer Arbeitszeit mit der Reinigung von WC-Räumen beschäftigt gewesen sei. Der hier skizzierte Fall ist auch deshalb so interessant, weil er einen ersten Eindruck vermitteln kann, was uns blüht, wenn wir - wie von der Regierungskoalition in Aussicht gestellt - ein komplexes System von regional differenzierten Branchen-Lohnuntergrenzen in den Bereichen, in denen es keine wie auch immer gearteten tarifvertraglichen Regelungen gibt, bekommen sollten. Viel Spaß bei der Abgrenzerei.

In einem anderen Fall geht es ebenfalls um die Frage, ob ein Arbeitnehmer Anspruch auf Mindestlohn-Vergütung hat oder haben soll. Schon die Artikelüberschrift "Mindestlohn im Schlaf verdient" des Arbeitsrechtlers Jobst-Hubertus Bauer ist Programm. Was ist das Problem? "Gehört Bereitschaftsdienst zur Arbeitszeit dazu? Ein Gericht entschied jetzt: ja. Damit bekommt eine Altenpflegerin 1000 Euro mehr Gehalt." Das hört sich doch erst einmal gut an, man freut sich für die ansonsten ja nun eher unterbezahlten Pflegekräfte - aber der Arbeitsrechtler Bauer ist ganz anderer Meinung: Der Gesetzgeber muss einschreiten, sonst wird Pflege unbezahlbar. Hintergrund ist eine neue Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg (LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 28. November 2012, Az. 4 Sa 48/12). Bauer beschreibt in seinem Artikel den Sachverhalt, der dem Urteil zugrunde liegt:

"Geklagt hatte eine Pflegehelferin, die von einem privaten Pflegedienst in sogenannten Rudu-Diensten ("Rund um die Uhr") zur Betreuung von zwei dementen Nonnen in einem katholischen Pflegeheim eingesetzt wurde. Vereinbart war ein Bruttomonatslohn von 1885,85 Euro. Die Einsätze erstreckten sich jeweils über zwei Wochen, danach hatte die Klägerin jeweils knapp zwei Wochen frei. Während der Dienste wohnte und schlief die Klägerin in dem Pflegeheim. Sie fand, die gesamte Zeit der Rudu-Dienste sei als Arbeitszeit zu werten, die mit dem Mindestlohn von damals 8,50 Euro zu vergüten sei. Pro vierzehntätiger Rudu-Schicht wäre demnach eine Vergütung von 24 x 14 x 8,50 Euro zu zahlen, also unterm Strich 2856 Euro. Der Arbeitgeber hielt dagegen, es habe erhebliche Zeiten ohne Arbeitsanfall gegeben. Schon rein physisch sei es nicht möglich, zwei Wochen am Stück durchzuarbeiten, weil die Klägerin zum Beispiel auch schlafen und essen muss. Das Landesarbeitsgericht gab aber der Klägerin überwiegend recht."

Zwar hat das LAG eine Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen, aber Bauer geht davon aus, dass auch dort die Entscheidung des LAG bestätigt wird. Er sieht im Pflegebereich eine erhebliche Kostensteigerung auf die Arbeitgeber zukommen, was die Pflege entsprechend verteuern würde. Bauer: "Wenn die Pflege nicht weiter verteuert werden soll, ist also eine politische Lösung gefragt: In der Mindestlohnverordnung muss zwischen Vollarbeit und Bereitschaftsdienst differenziert werden." Oder - so möchte man einwenden - man akzeptiert, dass dieser Arbeitsbereich schlichtweg besser bezahlt werden muss, wozu die LAG-Entscheidung einen Beitrag leistet.

Zwar hat das LAG eine Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen, aber Bauer geht davon aus, dass auch dort die Entscheidung des LAG bestätigt wird. Er sieht im Pflegebereich eine erhebliche Kostensteigerung auf die Arbeitgeber zukommen, was die Pflege entsprechend verteuern würde. Bauer: "Wenn die Pflege nicht weiter verteuert werden soll, ist also eine politische Lösung gefragt: In der Mindestlohnverordnung muss zwischen Vollarbeit und Bereitschaftsdienst differenziert werden." Oder - so möchte man einwenden - man akzeptiert, dass dieser Arbeitsbereich schlichtweg besser bezahlt werden muss, wozu die LAG-Entscheidung einen Beitrag leistet.

In der gegenwärtigen Welt haben wir es oftmals mit dem Problem zu tun, das die Debatte über einen Mindestlohn befeuert: Lohndumping bzw. der Vorwurf eines solchen. Nicht nur bei bösen Kapitalisten, sondern auch bei Sozialunternehmen, denen man das erst einmal nicht unterstellen würde. Einen unchristlichen Lohnstreit - den hat die Süddeutsche Zeitung beim Malteser Hilfsdienst in München entdeckt: "Zwei Sanitäter aus München werfen dem Malteser Hilfsdienst vor, seinen Beschäftigten nur Dumpinglöhne zu zahlen. Was passiert? Die Betriebsräte bekommen die fristlose Kündigung, weil sie ihren Arbeitgeber um Arbeitszeit betrogen haben sollen - einer der beiden um eine halbe Stunde." Die beiden Mitarbeitervertreter - so heißen die Betriebsräte in den kirchlich gebundenen Einrichtungen, in denen der "Dritte Weg" und damit u.a. ein Streikverbot gilt. Es ging den beiden vor allem um die Bezahlung von Malteser-Mitarbeitern, gerade der geringfügig Beschäftigten. Ihr Vorwurf: Der christliche Hilfsdienst zahlt einem Teil seiner Beschäftigten Dumpinglöhne."

"Vor allem bei den Minijobs gibt es gewaltige Grauzonen", so wird ein ver.di-Gewerkschafter in dem Artikel zitiert.

Die beiden gekündigten Mitarbeitervertreter zogen vor das Arbeitsgericht, wo es für den Arbeitgeber und seine "Beweisführung" ziemlich peinlich wurde. "Am Ende schlossen die Malteser einen Vergleich. Die beiden Gekündigten erhielten eine ordentliche Abfindung." Aber weg sind sie damit auf alle Fälle, wie so oft im Arbeitsleben.

Zurück zum Ausgangsproblem: "Zahlen die Malteser Niedriglöhne, gar Dumpinglöhne? Der Streit geht vor allem um die Teilzeitbeschäftigten im Rettungs- und Fahrdienst sowie beim Essens-Service. Die Teilzeitbeschäftigten sind längst schon in der Mehrheit in der Branche: Von den 3521 Beschäftigten bei den Maltesern in Bayern sind nur noch 859 hauptamtlich, 2488 sind geringfügig beschäftigt, hinzu kommen 147 Studenten oder Absolventen eines Freiwilligendienstes." Es geht hier nicht um die hauptamtlichen Rettungssanitäter. Aber besonders dramatisch sei die Lage "bei jenen, die im Fahrdienst zum Beispiel behinderte Kinder zur Schule bringen und wieder abholen oder Essen an Senioren liefern: Hier zahlten die Malteser oft nur fünf oder sechs Euro Stundenlohn." Die Entgegnung des Malteser-Verbandes ist eine bekannte im Sozialsektor: "Wir können nicht mehr ...  Beim Fahrdienst setzen uns die Kommunen unter Kostendruck, beim Essen können sich die alten Leute einfach nicht mehr leisten, wenn wir den Preis pro Mahlzeit erhöhen." Malteser-Geschäftsführer Friedrich wird in dem Artikel zitiert mit den Worten: "Bei Ausschreibungen schauen die Kommunen inzwischen nur noch auf den Preis".

Es wird richtigerweise darauf hingewiesen, dass wir es hier mit einem flächendeckenden Problem in der Sozialwirtschaft zu tun haben, das nicht etwa begrenzt ist auf katholische Träger oder auf Einrichtungen der Diakonie, die ansonsten oftmals in der Medienberichterstattung im Kontext von Lohndumping-Vorwürfen erwähnt werden. Der Artikel weist auf einen anderen Münchener Fall hin, der noch am Laufen ist:

"Der Münchner Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) bekam 2012 zweimal Besuch von Fahndern, die, ausgestattet mit einem Durchsuchungsbeschluss, dem Verdacht nachgingen, dass Praktikanten im Rettungsdienst mit einem illegalen Minilohn abgespeist worden sein könnten. Die Ermittlungen laufen noch. Jenseits des Juristischen geht es auch hier um die Frage, was ethisch vertretbar ist - für einen Hilfsverband, der aus der Arbeiterbewegung stammt und eng mit der SPD verbandelt ist."

Übrigens: auch in diesem Fall bekam ein unbequemer Betriebsrat die fristlose Kündigung auf den Tisch. Die Geschäftsleitung verdächtigt ihn, Behörden, Presse und Geschäftspartner mit Informationen versorgt zu haben. Man stützt sich auf "Beobachtungen" Dritter.

Und wie geht es weiter?

"Immerhin, die Malteser zahlen nun den unteren Lohngruppen mehr und haben sich verpflichtet, vom kommenden Jahr an allen Mitarbeitern mindestens den Stundenlohn von 7,50 Euro zu zahlen. "Das wird uns eine Reihe von Aufträgen kosten", sagt Malteser-Geschäftsführer Friedrich."
Vielleicht ist es am Ende auch besser, nicht alles mehr mitzumachen.